Kurzgeschichten & Anekdoten

Wenn der Hahn das dritte Mal kräht

Vorgestern früh auf dem Land. 
Die ersten Sonnenstrahlen hatten mich geweckt. 
Ich hatte so gut wie lange nicht mehr geschlafen, trotz der für Städter eher bescheiden anmutenden Schlaflogistik. 
Soll heißen, dass die Matratzen etwas hart waren, der Schlaf aber war hervorragend. 
Diese Ruhe hier auf dem Land, fernab des nie enden wollenden Getöses einer Großstadt, dass auch nachts keine Pause kennt, diese Ruhe bringt Mensch und Tier und vor allem dem Stadtmenschen ein großes Aufatmen, ein Entspannen, ein Kräftesammeln, also ein unvergleichliches Erlebnis für Geist und Körper.

Sicher, das Einschlafen zur Nacht war etwas gewöhnungsbedürftig: Keine Geräusche, an die man sich sonst schon gewöhnt hatte, wie Autohupen, quietschende Reifen, quietschende Kinder, lauthals streitende Eltern in der Nachbarswohnung, Feuerwehr- und Krankenwagensirenen und und und … die Liste ist endlos.
Stattdessen: Das liebliche Zirpen der Grillen, am nahen Tümpel das musikalische Quaken eines Froschchors bei Vollmond, das schüchterne Klopfen eines Spechtes im nahen Wald, das animalische Wiehern eines Pferdes auf der Koppel und und und … die Liste ist auch hier erstaunlich endlos.

Gestern früh auf dem Land. 
Die ersten Sonnenstrahlen hatten mich geweckt.
Ich fühlte mich großartig, ich hätte Bäume ausreißen können, auch wenn ich so etwas Sinnloses noch nie getan habe. Ganz weit hinten in meinem Geist bin ich nämlich ein Grüner, man merkt es mir nur nicht immer gleich an.
Doch, was war das?
Ein Hahn? Der klang ja eigenartig und so früh schon am Singen. 
Na ja, Singen war das falsche Wort, es sei denn man definiert Gesang sehr großzügig. Aber irgendwie klang es interessant und ungewohnt. 
Das ist der Reiz des Neuen, der auch mich irgendwie immer süchtig macht. 
So lag ich und wartete - es war ja erst fünf Uhr in der Früh - auf den nächsten Versuch dieses Hahns, der klang als würde man ihm die Gurgel umdrehen. 
Da, da war es wieder. Klang noch kläglicher als der Versuch zuvor. Es geht wohl zu Ende mit ihm.

Zwischendurch schoss es mir durch den Kopf: Wenn der jetzt das dritte Mal kräht, muss ich dann meine Gefolgschaft als Jesu Jünger aufgeben, oder allen erklären, dass ich meine Frau nicht kenne oder wie, oder was?
Der Gedanke kreiste noch, als der Hahn schon ein drittes, viertes, ja auch fünftes Mal gekräht hatte. Das war dann irgendwann nicht mehr lustig. So wie der sang, hätte der schon tot sein müssen!
Ich stand genervt auf und frühstückte. Das Frühstücksei war lecker und ich dachte, wenn der Hahn seinen Job nicht gemacht hätte, würde ich dieses leckere Ei nicht essen können. Ich beruhigte mich mit diesem Gedanken wieder ein wenig und auch der Hahn schien sich ruhig verhalten zu wollen.

Heute früh auf dem Land. Es war beunruhigend, wie die Ruhe vorm Sturm.
Endlich begriff ich: Diese Ruhe beunruhigt!

Es ist Abend und ich gehe zu Bett und ich höre es bewusst:
Das nervige Zirpen der Grillen, am nahen Tümpel das bescheuerte Quaken eines Froschchors, der den Vollmond besingt, das aggressive Hämmern eines Spechtes im nahen Wald, das notgeile Wiehern eines Gauls auf der Koppel und und und … die Liste ist plötzlich erstaunlich endlos.

Morgen bin ich wieder in der Stadt und freue mich auf die vertrauten Autohupen, fröhlich quietschende Reifen und Kinder, laut streitende Eltern aus der Nachbarswohnung in einer Performance zum Nulltarif, Feuerwehr- und Krankenwagensirenen, die das Gefühl von Sicherheit steigern und und und … die Liste ist wohltuend umfangreich!

Wenn ich dann wieder in der Stadt bin, kann ich aufatmen!